Die Figur wurde aus einem massiven, hellbeigen Kalksteinblock gehauen, der sich noch in der gesamten Disposition der Statue bemerkbar macht, vor allem in den blockartigen Beinen und Füssen, die als Fundament der Statuette dienen, weniger jedoch oberhalb der Hüften, wo die Gliedmassen schlank und elegant sind. Die Gesamtkomposition ist symmetrisch und orientiert sich an der vertikalen Mittellinie, doch im Detail gibt es einige subtile Abweichungen von dieser strengen Symmetrie: Der Mann neigt sich leicht zur rechten Seite, und ausserdem wird der blockhafte Aspekt der Statuette durch die angewinkelten Knie gemildert und belebt. Dadurch gewinnt er eine ganz erstaunliche Lebendigkeit, die durch seine intensiv blickenden Augen noch verstärkt wird.
Die Oberflächen sind grösstenteils flächig und bis zu einem gewissen Grad anorganisch ausgearbeitet, abgesehen von den Armen und der Brust, wo fein gearbeitete Muskeln zu erkennen sind. Viele anatomische Details werden durch einfache Ritzlinien angedeutet, wie die Zehen, die Trennlinie der Beine, die Finger und das Brustbein. Andere, wie die Geschlechtsorgane, der Bart, das Haar und der Hutrand, die Lippen, die Nase und die Augen, werden durch die Darstellung in vollem Relief in ihrer Bedeutung hervorgehoben.
Farbreste auf der Rückseite des Haares und auf dem Rücken zeigen, dass die Statuette ursprünglich teilweise bemalt war: Erkennbar sind noch eine V-förmige Spur auf dem Haar und eine ovale Struktur in der Mitte des Rückens der Statuette mit einer seitlichen Verlängerung am unteren Ende, alles in dunkelbraunem, heute verblasstem Farbton. Während die Spuren auf dem Haar als Teil der Frisur keiner weiteren Erklärung bedürfen, bleibt die Funktion der gemalten Struktur auf dem Rücken unklar (auch Teil der Frisur, Schmuck?).
Zusammen mit den beiden Statuetten im Musée du Louvre in Paris (Inv. AO 5718: https://collections.louvre.fr/en/ark:/53355/cl010121504, und Inv. AO 5719: https://collections.louvre.fr/en/ark:/53355/cl010121505) und der kürzlich wiederentdeckten Figur im Museo Civico di Padova (Inv. XVII-119: https://padovamusei.it/it/musei/il-museo-archeologico/collezioni/collezione-orientale/re-sacerdote) gehört der Zürcher "Priesterkönig" zu einer Gruppe von vier Statuetten, die offenbar alle zusammen um 1860 im Südirak gefunden und dann bald von Europäern auf dem lokalen Markt erworben worden sind. Die Zürcher Statuette ist die kleinste, aber dennoch das kunstvollste und schönste Exemplar der Gruppe. Die Statuetten müssen mit dem "Priesterkönig" oder dem "grossen Mann", d. h. dem Oberhaupt des Stadtstaates Uruk, in Verbindung gebracht werden, der – wie nach den intensiven Feldarbeiten der letzten 100 Jahre in dieser frühmesopotamischen Metropole mit schon damals über 50'000 Einwohner:innen klar geworden ist – als das zentrale Motiv in Plastik, auf Reliefs und den Siegeln der sog. späten Uruk-Zeit in der 2. Hälfte des 4. Jahrtausends v. Chr. zu bezeichnen ist.
Zwischen 1860 und 1863 privater Erwerb im Irak durch Julius Weber-Locher (1838–1906), damals bis 1868 in Bagdad ansässiger Handelsunternehmer, geboren in Bubikon, einem Dorf im Süden des Kanton Zürich; 1863 durch Schenkung an die Antiquarische Gesellschaft in Zürich; 1897 durch Schenkung an die Archäologische Sammlung der Universität Zürich (Inv. 1942).
Nach: M. Bürge, Kat. 65 Standing nude «Priest-King», in: A. Caubet (Hrsg.), Idols. The Power of Images. Ausstellungskatalog Venedig (Venedig 2018) 206.
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